Markus Rosenfelder

Die Herrnhuter Losungen

Foto Ziehung der Losungen (Foto: Markus Zogg)

Wir beginnen das Jahr 2024 mit der Jahreslosung. Zunächst wollen wir aber der Frage auf die Spur kommen, was der Ursprung der Herrnhuter Losungen ist.
Die Herrnhuter Losungen sind eine Sammlung von Bibelversen, die für jeden Tag des Jahres ausgelost werden. Sie wurden im Jahr 1728 von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf angeregt, einem deutschen Theologen, der auch Reichsgraf, Gründer und Bischof der Herrnhuter Brüder-Unität sowie Dichter zahlreicher Kirchenlieder war.

Die Losungen sollen die Gläubigen durch das Jahr begleiten und ermutigen, Gottes Wort stärker in den Alltag einzubinden. Zinzendorf hatte eines Tages seiner Gemeinde einen Liedvers mit auf den Weg gegeben, den er «Parole für den Tag» nannte. Das war am 3. Mai 1728 in der gewohnten «Singstunde». Seither findet die Ziehung der Losungen immer im Mai statt. Es werden immer für das dritte kommende Jahr Zettel mit einer Nummer aus einem grossen Topf gezogen. Die Nummern verweisen jeweils auf Sprüche des Alten Testaments. Diesen Sprüchen wird dann jeweils ein Vers aus dem Neuen Testament zugeordnet. Ausserdem wird zu jeder Losung ein Vers aus einem christlichen Lied ausgesucht. Manchmal wird statt eines Liedverses auch ein Gebetstext gewählt.

Die Herrnhuter Brüdergemeinde (oder Brüder-Unität), die die Losungen herausgibt, ist eine evangelische Gemeinschaft, die ihre Wurzeln im Pietismus hat. Der Pietismus ist eine Frömmigkeitsbewegung, die im späten 17. und im 18. Jahrhundert entstand. Das Wort Pietismus geht auf den lateinischen Begriff ‘pietas’ zurück, der mit Liebe, Frömmigkeit oder Pflichtbewusstsein übersetzt werden kann. Menschen, die sich mit dem Pietismus verbunden fühlten, wollten Erneuerung in der Kirche, indem sie sie zu ihren lutherischen Wurzeln zurückführen wollten. Im Mittelpunkt des Pietismus standen die Frömmigkeit des Einzelnen und das gemeinschaftliche Leben. Einen wichtigen Stellenwert nahm der christliche Unterricht ein, sowohl in der Gemeinde als auch in Schulen und Erziehungseinrichtungen.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde im Jahr 1943 die Zuteilung von Papier verwehrt, sodass die Herrnhuter Brüdergemeinde eine grosszügige Papierspende von den Brüdern aus Schweden bekam. Allerdings wurde auch nach Eintreffen des Papiers die notwendige Druckerlaubnis nicht erteilt. Erst nachdem die Brüdergemeinde den schwedischen Forscher Sven Hedin um Hilfe bat, der dann einen Brief an Joseph Goebbels schrieb, wie sehr ihm das Erscheinen der Losungen am Herzen liege, wurde im Oktober 1943 die Druckerlaubnis für die Losungen der Jahre 1943, 1944 und 1945 erteilt. Als Antwort schrieb Goebbels am 1. April 1943 an Sven Hedin: «Auf Ihr Schreiben vom 20. März bin ich wieder wie im vergangenen Jahr trotz der sehr eingeschränkten Druckkapazitäten im Reiche gerne bereit, die Herstellung der Losungen und Lehrtexte der Brüdergemeinde zu genehmigen. Ich freue mich besonders, Ihnen damit einen persönlichen Wunsch erfüllen zu können. Auch in den Folgejahren war es nicht einfach, die staatliche Erlaubnis zum Druck und zur Einfuhr von Papier zu erhalten. Der Brüdergemeinde stand dem klaren Problembewusstsein ein begrenzter Handlungsspielraum gegenüber, der von dem Widerspruch zwischen verfassungsmässiger Pressefreiheit und tatsächlichere Zensur geprägt war. Gott sei Dank gab es in all den Jahren keine direkten Verbote von bereits gelosten Verse.

Die Jahreslosung für das Jahr 2024

„Alles bei euch geschehe in Liebe.“ (1. Korinther 16,14)

Das ist eine steile Vorlage für das neue Jahr. Wem das gelingt… Ein aktuelles Jugendwort beschreibt es sehr gut. „Slay“ ist der Ausdruck für Bewunderung, wenn jemand etwas Spektakuläres macht oder erreicht. Es wäre in der Tat eine spektakuläre Meisterleistung, wenn es mir gelingen würde, alles in Liebe zu tun. Wenn ich nur daran denke, wie häufig ich schon in meiner Ehe versagt und mich meinen Kindern gegenüber lieblos verhalten habe… Da gibt es für mich sehr viel Luft nach oben, sehr viel Verbesserungspotential. Ja, ich bin total darauf angewiesen, dass Gott mir gegenüber gnädig ist und mir hilft. Die Liebe ist ein lebenslanges Übungsfeld. Sie klingt so harmonisch und leicht. Aber sie ist an Anspruch und Tragweite kaum zu überbieten. Liebe ist eine christliche Lebenshaltung. Die Quelle der Liebe ist Gott selbst. Diese „Agape“, in der sich die göttliche mit der zwischenmenschlichen Liebe verbindet, zieht sich durch das gesamte Neue Testament. Liebe als Gebot: Geht das überhaupt? Kann man Liebe vom Gefühl lösen und einen anderen Menschen willentlich und bewusst „lieben“? Liebe ist in diesem Sinne eben keine Emotion, sondern eine Lebenshaltung, die sich aus Gottes Liebe speist und aus der sich Worte und Taten ergeben.

Ich wünsche allen ein von Gottes Liebe gefülltes Jahr 2024

Markus Zogg, Sozialdiakon

Bereitgestellt: 04.01.2024